Staat, Markt und Alltagskommunismus



Vorschlag für eine linke Perspektive - Staat, Markt und Alltagskommunismus

1          Voraussetzungen

Die folgenden Vorschläge einer neuen Perspektive auf z.T. schon bestehende politische Praxen haben einige Voraussetzungen, die ich hier kurz benennen, aber nicht weiter ausführen möchte, weil sie schon mehrfach und ausführlich erarbeitet wurden, was ich nicht besser wiederholen könnte.
·         Eine Voraussetzung ist die Einsicht in die Notwendigkeit einer globalen sozialökologischen Wende, wie sie beispielsweise vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) im Hauptgutachten von 2011 unter dem Titel “Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation” beschrieben wird. Weitere häufig auf einzelne Politikfelder eingehende Arbeiten finden sich beispielsweise bei den Stiftungen der Rot-rot-grünen Parteien.
·         Eine weitere Voraussetzung ist die für Linke eigentlich selbstverständliche Erkenntnis, dass Fortschritte aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen ganz überwiegend erkämpft werden müssen und nicht im Konsens oder indem sie in einem Koalitionsvertrag formuliert werden, erreicht werden. Diese Selbstverständlichkeit fehlt - ebenfalls verständlich - meist in staatlichen Papieren wie dem des WBGU, leider mittlerweile auch in vielen Analysen und Strategien von Initiativen und anderen Nichtregierungsorganisationen (NRO), sei es, weil sie in Auftragsarbeit für staatliche Institutionen erstellt werden oder weil sie von ihrem Selbstverständnis her als Teil des “Establishments” nicht mehr in Widersprüchen denken. Erfreulicherweise gibt es aber aus den letzten Jahrzehnten viele Erfahrungen aus diversen fortschrittlichen sozialen Bewegungen, wie diese Kämpfe geführt werden können.

2          Ansätze, auf die sich dieser Text bezieht 

Klassische ökonomische Theorien unterscheiden hauptsächlich zwischen marktwirtschaftlich/kapitalistischen und staatlich/öffentlichen wirtschaftlichen Aktivitäten. Insbesondere durch die feministische Theorie wurde deutlich, dass damit ein Großteil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit unterschlagen wird, die z.B. als Versorgungs-, Erziehungs- und Hausarbeit im privaten Bereich geleistet wird. Im Folgenden soll es aber nicht nur um den vom Feminismus insbesondere untersuchten Bereich der Reproduktion gehen, sondern auch um andere selbstverständliche, nicht monetarisierte Tätigkeiten: gegenseitige Hilfe im Garten, Verleih von Werkzeugen unter Bekannten oder Kollegen, Unterstützung in Familienbetrieben etc.
Hannah Arendt hat - sehr stark verkürzt - dargestellt, wie eine Reduzierung auf diese Tätigkeiten aber ebenso auf notwendige, unkreative, vorgegebene Arbeitsprozesse in anderen Rahmen oder Zusammenhängen, einen faktischen Ausschluss aus der demokratisch-politischen Gesellschaft bedeutet.
David Graeber hat - ebenfalls sehr stark verkürzt - diesen Bereich wirtschaftlichen Handelns verallgemeinert und bezeichnet ihn in “Schulden ...” als Kommunismus, der die Grundlage jedes Wirtschaftssystems darstellt. Eine Grundlage, ohne die es nicht auskommen kann, weil das selbstverständliche Tun des Notwendigen extrem effizient ist - ein Grund übrigens, warum schlecht ausgestattete Bürgerinitiativen schnell auf die Anforderungen der Flüchtlingswelle reagieren konnten, während die (insbesondere die Berliner) Verwaltung gezeigt hat, zu welchem Unfug und welcher Unfähigkeit Bürokratie in der Lage ist.[1]
Um nicht in Namensdebatten mit KommunistInnen zu kommen, die den Begriff Kommunismus anders verwenden, wähle ich den ebenfalls bereits bestehenden Begriff Alltagskommunismus[2] für alle selbstverständlichen (re)produktiven Tätigkeiten, die nicht kapitalistisch oder öffentlich organisiert sind, d.h. die, bzw. deren Produkte, nicht auf einem Markt eingekauft und/oder staatlich zur Verfügung gestellt werden.

            Demokratie und Selbstwirksamkeit - Die Polis heute denken

Hannah Arendt[3] unterscheidet zum einen zwischen dem Raum des Öffentlichen und dem Bereich des Privaten. Hierbei findet das Verlassen des Reiches der Notwendigkeit und der Eintritt in das Reich des freien Sprechens und Handelns, in gewisser Weise die eigentliche Menschwerdung des Zoon politikon, im öffentlichen Raum statt. Zu diesem Raum, zur Polis, hatten in der griechischen Antike Sklaven, Barbaren und Frauen keinen Zutritt, was wir heutzutage anders sehen würden.
Hannah Arendt unterscheidet zum anderen zwischen den Tätigkeitsformen Arbeit, Herstellen und Handeln.
“Arbeit” ist demnach eine Tätigkeit, die notwendig für das Leben und die Reproduktion ist, aber nichts Neues schafft, was nicht sofort wieder verbraucht werden muss. Traditionell würde Feldarbeit, aber auch Hausarbeit dazu gehören.
Beim “Herstellen” verdinglicht Homo faber, der schaffende Mensch, dagegen die Welt. Geräte und Maschinen werden geschaffen, die nicht - jedenfalls nicht sofort - wieder verschwinden, indem sie konsumiert werden, sondern die Lebensbedingungen und die Bedingungen für die „Arbeit“ verändern und verbessern.
“Handeln” schließlich heißt politisches und soziales Tätig-sein, Interaktion mit anderen Menschen, in denen sich der Handelnde immer auch selbst enthüllt. Mit dem hohen Freiheitsgrad des Handelns sinkt aber auch die Vorhersehbarkeit ihres Ergebnisses. Wenn ich das Bad putze, so kann ich davon ausgehen, dass es danach sauber ist. Wenn ich ein Fahrrad zusammenschraube, so wird es vermutlich für einen gewissen Zeitraum funktionieren und mir die Fortbewegung erleichtern. Wenn ich mich aber mit anderen Menschen gemeinsam daran beteilige, dass eine rotgrüne Regierung gewählt wird, so kann ich vom Kriegseintritt Deutschlands und von Hartz IV überrascht werden.
Beim „Handeln“, bei dem immer auch andere Menschen beteiligt sind, die ihrerseits handeln, steht das Ergebnis vorher also nie fest.
Da sich der Mensch als Person im Handeln und Sprechen enthüllt, d.h. sich in seiner Einzigartigkeit darstellt, bleibt das Ziel einer demokratischen Gesellschaft, allen Menschen einen Anteil am - im Arendtschen Sinne - Handeln zu ermöglichen, selbstverständlich eingebunden in die ja formal erreichte Beteiligung Aller an der Polis. Hieraus lässt sich ableiten, was direkte Demokratie leisten muss, warum dezentrale Strukturen, in die notwendigerweise mehr Betroffene handelnd und entscheidend eingebunden sein können, demokratischer sind als sehr große Einheiten.
Es wird aber auch deutlich, wo direkte Demokratie mit - technisch mittlerweile evtl. möglichen -  Abstimmungs-Marathons und mit dem Anspruch „Jeder muss zu allem befragt werden.“, obwohl sein Lebens- und Handelns-Bereich nicht erheblich betroffen ist, in die Irre geht. Unabhängig davon gibt es selbstverständlich viele zentrale Entscheidungen, die repräsentative Demokratie benötigen, aber diese sind eben nicht möglichst häufig anzustreben, sondern als Notwendigkeit anzusehen, um gerechte und gemeinsame Lebensgrundlagen zu schaffen, wenn dezentrale Strukturen dies nicht leisten können.[4] [5]
Auch das immer weitere Streben nach Effizienz und gesteigerter Produktivität läuft häufig in die falsche Richtung nämlich zum Abbau von Handlungsmöglichkeiten. Dies aus zwei Gründen: Zum einen geht damit häufig ein Aufbau immer zentralerer Strukturen verbunden mit dem Rückgang von Demokratie und Handlungsmöglichkeiten einher[6]. Zum anderen soll die Produktivitätssteigerung häufig aber auch durch ein Ersetzen des „Handelns“ durch „Herstellen“ erreicht werden. Was technologisch geregelt werden kann - versucht wird dies zunehmend auch im sozialen Bereich - scheint effektiver und vorhersehbarer, als wenn Menschen mitreden und entscheiden können.
Neben der erhofften höheren Effektivität von Herstellen gegenüber Handeln kann nach der Beschreibung von Max Frisch auch die Angst eine Rolle spielen, die Homo faber vermutlich eher vor dem „Handeln“ als vor dem Herstellen hat. Dass dieser Ersatz des Handelns durch Herstellen dann immer wieder doch nicht funktioniert und die Menschen als unberechenbare Störgröße ausbrechen und neue Sozialprogramme, Kliniken und Gefängnisse erforderlich machen, ist für Homo faber - sei er Ingenieur oder Verwaltungsbeamter - unverständlich.

            Alltagskommunismus

Nach David Graeber[7] hat grundsätzlich jede Gesellschaft Anteile an den drei Wirtschaftsformen Alltagskommunismus, Markt und Staat. Die politische Auseinandersetzung geht meist um den Streit Staat oder Markt, wobei dann höchstens noch demokratische Elemente wie Genossenschaften im Marktgeschehen oder Dezentralität zur besseren Mitbestimmung eingefordert werden. Der Alltagskommunismus wird dagegen von beiden Fraktionen eher zurückgedrängt, sei es vom Kapital, um neue “Marktfelder und Verdienstmöglichkeiten zu erschließen”, wodurch der Markt naturwüchsig jeden Lebensbereich zu durchdringen versucht, sei es vom Staat, um Schwarzarbeit zu bekämpfen, um soziale Kontrolle zu erlangen (um Frauen vor häuslicher Ausbeutung zu schützen), um Sicherheitsstandards durchzusetzen oder aus anderen ehrenwerten oder weniger ehrenwerten Gründen.
Seit Jahrzehnten versuchen Theoretiker wie Praktiker Alternativökonomien zu entwickeln, deren Ziele üblicherweise folgende sind:
·         Aufbau lokaler Wirtschaftskreisläufe (z.T. mit lokalen Währungen)
·         Zurückdrängung des Einflusses von Großkonzernen und Banken unter dem Schlagwort “Small is beautiful”
·         Abkopplung von der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus
·         Demokratischer, z.B. genossenschaftlicher Unternehmensaufbau 
·         Ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaften 
In der Praxis haben solche Ansätze viel Positives erreicht. Sie wurden aber, wenn sie dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich waren, über kurz oder lang Teil des kapitalistischen Systems und damit dessen Zwängen und Verwertungsregeln unterworfen. Ein Beispiel aus den letzten Jahren seien hier die Mikrokredite, für deren Entwicklung 2006 der Friedensnobelpreis - nicht der für Wirtschaftswissenschaften! - vergeben wurde. Die Mikrokredite wurden entwickelt, um in armen Regionen Afrikas und Asiens Grundkapital für handwerkliche oder kleinbäuerliche Produktion aufzubringen, wobei es sich im Einzelfall aus Sicht von Kapitalgesellschaften und selbst von größeren Entwicklungshilfeorganisationen jeweils eher um Spielgeld als um relevante Kapitalmengen handelt. Mit ihrer “Erfolgsgeschichte” stellen diese Systeme mittlerweile sicher, dass die Börsen in London, Frankfurt und New York jetzt auch mit den Zinsen der Ärmsten dieser Welt ihre Gewinne steigern können.[8]   Es geht hier aber gerade nicht um die Denunziation von „fiesen Pfandleihern“, sondern darum, dass auch wohlmeinende, engagierte Friedensnobelpreisträger sich der Logik des Kapitals nicht entziehen können. Die Börse sucht nichts dringender als Geldanlagemöglichkeiten – nicht nur für Superreiche, sondern auch für das Geld, das westliche Normalverdiener für ihre Rente auf die Bank bringen. Und wenn es Mikrokreditsysteme gibt, dann werden diese gekauft, um diesen Normalverdienern Zinsen zahlen zu können (oder um gegenwärtig zumindest keine Negativzinsen der Zentralbank weitergeben zu müssen). Die Armen bleiben bei dem System arm, aber es geht ihnen etwas besser als vorher (siehe Teil 1 „Ausgangslage“ dieser Analyse). Gleichzeitig besitzen mittlerweile acht reiche Menschen so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, nämlich 3,5 Mrd. zusammen, und entsprechend verschärfen sich die Widersprüche dieses Systems. 
Wo die alternativökonomischen Ansätze dauerhaft weniger erfolgreich – d.h. in der Regel verglichen mit ihren kapitalistischen „Mitbewerbern“ weniger effizient[9] – waren, wurden sie entweder vom Markt verdrängt und damit beendet oder Teil eines subventionierten zweiten oder dritten Arbeitsmarktes, wiederum angewiesen auf die Alimentation aus dem Steueraufkommen des bestehenden Systems. Eine eigenständige Größe, die Staat, Markt und Alltagskommunismus verbindet, hat sich aus den Ansätzen der Alternativökonomie bisher nie entwickelt und m. W. wurde dies auch nie strategisch angestrebt. Hauptsächlich definieren sich diese Ansätze als im Gegensatz stehend zum Kapitalismus. - Aus kapitalistischer Sicht heißt dieses “im Gegensatz” allerdings nichts anderes als “im Wettbewerb” stehend, was nichts Neues, sondern eines seiner definierenden Elemente darstellt und mit Sicherheit integrierbar ist. Dies gilt ebenso für einen genossenschaftlichen Wirtschaftsansatz. Dennoch soll dieser nicht einfach dem “Markt” zugeschlagen werden, da - zumindest kleinere - Genossenschaften u.Ä.  auch eine Möglichkeit darstellen, alltagskommunistisches Wirtschaften zu formalisieren. “Nach außen” sind sie dann allerdings normale Marktteilnehmer und - je größer sie werden - auch immer stärker nach innen, weiterhin aber mit einer relativ demokratischen Eigentümerstruktur.

3          Staat, Markt und Alltagskommunismus zusammendenken

Der hier dargestellte Vorschlag skizziert die Idee, Staat, Markt und Alltagskommunismus bei der Entwicklung einer Alternativökonomie zusammenzudenken. Dies setzt voraus, bei ihrem Aufbau, nicht nur kleinteilig - jeweils Projektbezogen -, sondern auch gesamtgesellschaftlich vorzugehen.
Um eine Leitlinie politischen und wirtschaftlichen Handelns zu erhalten, müssten grundsätzlich die o.g. Bereiche produktiven Handelns danach aufgeteilt werden, welche Wirtschaftsform als die jeweils sinnvollste erscheint. Außerdem müssten alle Bereiche mit demokratischer Kontrolle versehen werden, was ja durch Gewerkschaften, Betriebsräte, Bürgerbeteiligungen, Wahlen, Bürgerbegehren, aber auch für Jugendämter sowie Arbeits- und Sozialgerichte etc. nichts Neues ist. Im Sinne der Demokratisierung und der Vermeidung entfremdeter Arbeit soll hier folgende Wirtschafts-Hierarchie[10] vorgeschlagen werden:
·         Alltagskommunismus
·         Öffentlich/Staat
·         Markt/Kapital
Diese Hierarchie sagt aus, dass eine Tätigkeit, die (fast) gleich gut in allen drei Bereichen produktiven Handelns organisiert werden kann, im Rahmen des Alltagskommunismus erledigt werden sollte. Ist diese Wirtschaftsform unmöglich oder extrem ineffizient, sollte zunächst eine öffentliche und erst danach eine marktförmige Umsetzung ins Auge gefasst werden. Zusätzlich kann das politische Ziel, bestimmte Güter der Daseinsvorsorge (Wohnen, Lebensmittel, Bildung, Infrastruktur, Energie, ...) nicht den Marktkräften überlassen zu wollen, hier alltagskommunistisches oder öffentliches wirtschaftliches Handeln notwendig machen, obwohl der Markt sie evtl. effizienter anbieten kann.
Die Hierarchie bevorzugt Alltagskommunismus und öffentliche Wirtschaftsformen, weil diese i.A. naturwüchsig demokratischer und dezentraler umsetzbar sind, hier also mehr Menschen mitentscheiden und „Handeln“ können, d.h. in möglichst vielen Bereichen die “Entscheidenden” mit den “Ausführenden und direkt Betroffenen” übereinstimmen. Hinzu kommt, dass die Entscheidungen einfacher offengelegt werden können, während Konkurrenzsysteme Betriebsgeheimnisse etc. voraussetzen.
Die letzte Stelle für Markt/Kapital in der Hierarchie ist aber keine moralische Kategorie. Nach allen Erfahrungen wird es viele Tätigkeiten geben, die - oder deren Güter - auf eine Allokation über den Markt ausgerichtet sind. Selbst in strengen “Staatswirtschaften” war dies der Fall. Diesen “Marktbereich” moralisch abzuwerten war eines ihrer Fehler. Auch die Abfallhierarchie sagt nichts über die Moral von Abfallbehandlungsanlagen aus, dennoch ist die Vermeidung von Abfällen sinnvoller.
Die Argumente der heutigen politischen Auseinandersetzung um Staat oder Markt benennen meist die Nachteile und unheilvollen Folgen des jeweils nicht präferierten Modells, wobei das jeweils bevorzugte wesentlich nachsichtiger bewertet wird. Und tatsächlich haben beide Systeme - auch in Kombination miteinander - eine hohe Effizienz entwickelt und viele Menschheitsprobleme abgemildert (s.o.).  Und doch führen sie gleichzeitig mit ihrem weiteren Wachstum zu neuen Problemen und teilweise haarsträubenden Absurditäten.
Der Vorschlag, Gemeinwohlökonomie oder wie auch immer sie genannt werden kann, aus den Bausteinen Alltagskommunismus, Staat und Kapital zu entwickeln, zielt nicht auf einen dritten, neu ausgedachten Weg, sondern auf die sinnvolle Kombination der bekannten Bausteine unter besonderer Förderung allerdings des kommunistischen Elements, das immer weiter zurückgedrängt wurde und zwischen Staat und Kapital kaum noch einen Platz findet, was nicht nur wirtschaftlich sondern auch aus demokratischer und sozialer Sicht problematisch ist. Arendtsches Handeln wird verdrängt und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten werden verhindert bzw. auf den reinen Freizeitbereich und/oder auf dafür vorgesehene staatliche oder privatwirtschaftliche Einrichtungen wie Bildungseinrichtungen, Freizeitparks, Psycho- und Reha-Kliniken, Sportvereine oder esoterische Zirkel begrenzt.
In einer Zeit, in der der kapitalistische Markt ebenso wie die bürokratischen Systeme immer mehr Menschen und ganze Regionen aussortieren, nicht mehr benötigen und zu Objekten deklassieren und gleichzeitig immer mehr sinnvolle Lösungen durch Regeln behindern, hat der Alltagskommunismus mit Sicherheit Nachholbedarf. Hinzu kommt, dass durch die moderne IT möglicherweise Lösungen für dezentrale Kultur, Produktion, Konsumtion etc. geschaffen werden.
Soziale Netzwerke - sicherlich öffentlich und transparent und nicht länger privatwirtschaftlich zu organisieren -, Tauschökonomie und 3D-Drucker bieten in ihrer Kombination die Möglichkeit zu neuen alltagskommunistischen, dezentralen und klein-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsstrukturen. 
Beispiele zur Illustration, was genau anders werden soll und wie es dann möglicherweise organisiert werden kann, finden sich im dritten Teil dieser Schrift „Einstieg in die Praxis“ Dort werden unterschiedliche Wirtschaftsbereiche entsprechend untersucht[11].

4          Randbedingungen

Außer den im Abschnitt „Voraussetzungen“ genannten Bedingungen, die unabhängig und zusätzlich zum hier vorgeschlagenen Projekt für eine linke Perspektive notwendig sind, besteht eine Reihe weiterer Prämissen, die für den Erfolg einer Umsetzung des Projekts notwendig oder zumindest sehr vorteilhaft wären. Hiervon sollen im Folgenden einige erwähnt werden:
Allmende und Flat Lines im Datenreich (und wo sonst noch möglich)
In einer Zeit, in der Daten - im allgemeinsten Sinn - immer wesentlicher für die Wertschöpfung werden und selber einen wachsenden Anteil daran haben, ist deren Eigenschaft, sich beliebig duplizieren zu lassen, ein starker Treiber Allmende-bezogenen[12] und alltagskommunistischen Wirtschaftens, während die gleiche Eigenschaft für kapitalistisches Wirtschaften ein großes Problem darstellt und immer findigere Kopierschutzsysteme, Spionage- und Anti-Spionage-Abteilungen hervorbringt.
Auch in der Allmende-Welt dürfen die Menschen, die Inputs liefern, nicht verhungern. Hier muss, wie bei Wikipedia, Open Office o.ä. ein Weg der gerechten Vergütung gefunden werden. Dieser wird mit Sicherheit um ein Vielfaches effizienter sein als der dauerhafte Versuch, diese Güter privatwirtschaftlich wegzusperren und zu bepreisen. Als typisch sind hier zu nennen:
·         Kulturelle Produktion: Filme, Musik, Bilder
·         Information, Nachrichten
·         Programme für alle Arten von Maschinen und insbesondere für 3D-Drucker
·         Office-Programme
Zwei untypische Beispiele sollen noch erwähnt werden, die verdeutlichen, wie viel einfacher Allmende wäre und im ersten Fall, wie schädlich sich die kapitalistische Wirtschaftsweise hier auswirken kann:
·         Die Patentierung von Saatgut, da hier ebenfalls ein natürliches Allmendegut mit der Fähigkeit sich zu vervielfältigen künstlich verknappt und bepreist wird.
In Kombination mit bestimmten Resistenzen und Hybridarten werden so auf den internationalen Agrarmärkten Abhängigkeiten geschaffen, die Kleinbauern in den Ruin treiben.
·         Druckerpatronen mit wenigen Milliliter Tinte, die über Hard- und Software-Einsatz aufwendig “geschützt” und für das Hundertfache des Wertes der enthaltenen Tinte verkauft werden.
Allmende gehört im Datenreich eigentlich zur Natur der Sache, und damit arbeitet auf diesem Gebiet hoffentlich auch die Zeit für Alltagskommunismus und öffentlich angebotene Flat Lines. Es ist aber wichtig, sich diese Bedeutung klar zu machen, um nicht aus Solidarität mit notleidenden Kulturschaffenden (die Pharmakonzerne haben hier mehr Macht, aber auch ein schlechteres Image) die kapitalistische Verwertung dieser Güter künstlich zu verlängern.

            Primat der Politik

Ohne das Primat der Politik ist eine Gesellschaft, in der Marktmechanismen eine Rolle spielen - also jede - und in der die Marktkräfte dennoch nicht in allen Krisenfällen den Ausschlag geben sollen, nicht denkbar. Eine Politik gegen die „Sachzwänge des Kapitals“ kann nur in Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit usw. enden, wenn keine mindestens gleichwertigen alternativen Wirtschaftsstrukturen bestehen. Diese Tatsache wurde von den meisten Gründervätern und -müttern des Sozialismus festgestellt und auch von den VertreterInnen der Sozialen Marktwirtschaft (manchmal unausgesprochen) anerkannt[13].
Das Primat der Politik wird aber nicht nur auf Nationaler und höherer Politikebene (Europa, Internationales) durch die Kapitallogik in Frage gestellt, sondern häufig auch im kleineren regionalen oder kommunalen Rahmen, sei es durch persönliche Abhängigkeiten, durch Bedrohung mit Abwanderung von Unternehmen oder durch den Verlust/die Nicht-Verfügung über jeweils benötigte Wirtschaftskompetenzen in öffentlichen oder alltagskommunistischen Strukturen.
Das Primat der Politik setzt also nicht nur funktionierende und kompetente öffentliche Strukturen voraus, sondern spricht ebenso wie die Demokratiefrage gegen einen zu mächtigen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsflügel.
Das Zurechtstutzen des Marktes auf eine sozialökologisch, politisch und wirtschaftlich akzeptable Größenordnung setzt selbstverständlich etliche gesellschaftliche Kämpfe, aber ebenso Aufbauarbeit in den anderen Wirtschaftsformen voraus.[14] 

            Grundeinkommen

Auch ein sicheres und für die Lebensführung akzeptables Grundeinkommen ist Voraussetzung für ein alternatives Wirtschaftsmodell. Der Sinn von Grundeinkommen überhaupt wird kaum noch in Frage gestellt und auch Sozialhilfe oder ALG II stellt vom Prinzip her so etwas dar, wenn auch auf zu niedrigem Niveau und an entmündigende und zudem bürokratisch überbordende Bedingungen geknüpft. Selbst die FDP geht mit dem Modell ihrer “Negativen Einkommenssteuer” hier weiter. Bei Akzeptanz des bedingungslosen Grundeinkommens bliebe dann die - natürlich nicht triviale - Frage nach dessen Höhe.
Das Grundeinkommen wird - zurecht - meist aus sozialen- und Gerechtigkeitsgründen gefordert. Im Rahmen des hier skizzierten alternativwirtschaftlichen Ansatzes soll vor allem darauf hingewiesen werden, dass es auch für die Überwindung der Kapitallogik, d.h. des Marktzwanges zum Wachstum, sehr hilfreich ist. Der gesellschaftliche aber jeweils individuell erfahrene Zwang zur Selbstverwertung bzw. zum Verkauf seiner Arbeitskraft stellt die komplementäre Seite zum Wachstumszwang und Zwang zur Kapitalvermehrung dar. Die eine Seite muss neue Dienstleistungen/Produkte/Märkte/Anlagemöglichkeiten finden, seien diese auch objektiv noch so unsinnig; die andere Seite muss in diesen Bereichen arbeiten, um ein Leben unter akzeptablen Bedingungen führen zu können. Beide Bereiche der Zwänge gilt es aufzuheben, letzteren durch das Grundeinkommen.            

            Menschenbild

Der Text geht von einem jetzigen Menschenbild, weder besonders gut noch böse, unterschiedlich engagiert und ohne „sozialistische Erziehungsdiktatur“ aus. Im Gegensatz zu einer „reinen Lehre“ vieler Linken akzeptiert er daher auch eine gewisse Ungleichheit bei Einfluss und/oder Macht, die sich in dezentralen Strukturen und im Alltagskommunismus vermutlich immer einstellen wird. Leute, die engagierter sind, mehr tun, werden einflussreicher als andere. So werden beispielsweise Menschen, die in Berlin eine Energiegenossenschaft gründen, weil ihnen eine dezentrale und erneuerbare Energieversorgung dieser Stadt wichtig ist, bei diesem Thema mehr mitreden und damit auch entscheiden, als solche, die das nicht tun. Wichtig ist, dass sich diese Ungleichheit nicht durch Eigentums- oder bürokratische Strukturen verselbstständigen kann.[15]

5          Welche Wirtschaftsform wo? - Besitzen heißt neu erschaffen können

Bei dem hier vorgestellten Vorschlag, die sowieso immer parallel existierenden Wirtschaftsformen Alltagskommunismus, Staat und Markt auch konzeptionell bewusst zu integrieren, stellt sich die Frage, welche Bereiche produktiven Handelns wie organisiert werden sollen.
In einigen Fällen gibt es darüber - ausgesprochen oder unausgesprochen - ohnehin schon einen breiten gesellschaftlichen Konsens:
·         Abwaschen, Saubermachen, Klein- oder Urban-Gärtnern, Sprechen, Laufen und Radfahren beibringen können idealerweise dem Urkommunismus überlassen werden.
·         Frische Brötchen, Pizza essen gehen, Entwurf neuer Kleider oder Möbel, Fahrräder und Bürostühle können sehr gut vom Markt zur Verfügung gestellt werden. 
·         Bildung, Gesundheitssystem und “Natürliche Monopole” wie die Netze der Infrastruktur sollten in öffentlicher Verantwortung angeboten werden.   
Sobald man darüber hinausgeht, fangen die Widersprüche an, wobei viele Linke einige weitere Bereiche gerne unter staatlicher Verantwortung sehen würden. Zum einen betrifft dies - häufig historisch begründet - die “Schlüsselindustrien”, da hier die ökonomische schnell in politische Macht umschlagen und als solche missbraucht werden kann; zum anderen die Bereiche der Daseinsvorsorge, d.h. die Versorgung mit allem, was für ein akzeptables Leben - auch incl. der Eingebundenheit in die Gesellschaft - notwendig ist, d.h. Energie und Wasser, Alterssicherung, Wohnen, Mobilität sowie ein kulturelles Grundangebot und Betreuung für Kinder und Ältere. Diese Grundversorgung staatlich zu verantworten, wird damit begründet, dass sie nicht den Marktkräften und deren Zufälligkeiten überlassen werden kann, mit der möglichen Folge von Wohnungslosigkeit, Elend bei Krankheit oder im Alter usw.
Innerhalb der Linken gibt es hier eher die Auseinandersetzung zwischen dem Präferieren von Alltagskommunismus/Selbstorganisation auf der einen und Staat auf der anderen Seite, als dass kapitalistische Organisationsformen bevorzugt würden. Dies betrifft z.B. die Bewertung alternativ organisierter Schulen, Kinderläden und Pflegeeinrichtungen, aber auch von Wohnungsbau- und Energiegenossenschaften.
Auf die Frage “Welche Wirtschaftsform wo?” gibt es also schon teils unterschiedliche, teils weitgehend akzeptierte Antworten.
Zur Beantwortung der Frage soll hier ein weiteres Paradigma eingeführt werden, das - zusätzlich zu den oben genannten - als Kriterium gelten kann: Besitzen heißt neu erschaffen können.

            Besitzen heißt neu erschaffen können

Diese These beschreibt, dass eine echte Aneignung einer Sache oder auch einer Dienstleistung oder einer gesellschaftlichen Struktur nur möglich ist, wenn diese auch neu erschaffen werden kann, vom jeweiligen Eigentümer selbst oder von Organisationen oder Netzwerken, über die er verfügen kann. Der Hintergrund dieser Sichtweise wird an Beispielen deutlich, wo diese Fähigkeit zum Neu-erschaffen-können fehlt.
·         Eine Bewegung, die Häuser besetzt, kann alltagskommunistisch viel erreichen, ist aber darauf angewiesen, dass die Häuser im Rahmen anderer Organisationsformen - privat, genossenschaftlich oder staatlich - vorher gebaut wurden. In ihrer “Urform” ist diese Bewegung also notwendigerweise zeitlich sehr begrenzt und kann höchstens - wiederum in genossenschaftliche Formen gewandelt - länger bestehen[16].
·         Die Wirtschaft der sozialistischen Staaten hat nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Fällen mit den Vorkriegs-Produktionsmitteln bzw. mit deren kaum weiterentwickelter Technologie ihre Produktion wiederaufgenommen. Nach einer Aufbruchsstimmung in den 60er Jahren war kaum eigene Innovation möglich; so waren die sozialistischen Staaten auf Inputs aus dem kapitalistischen Markt angewiesen. Dies galt selbst für Formen moderner Industrieplanung, die eher in kapitalistischen Konzernen als in den sozialistischen Ländern entwickelt wurden.
·         Die berechtigte Kritik und heftige Auseinandersetzung mit Konzernen wie Chemiekonzernen Bayer/Monsato greift dauerhaft ins Leere, wenn die Kritiker nicht eigene alternative Entwicklungs- und Produktionswege für wichtige Chemikalien/Medikamente aufbauen, bzw. diese - z.B. im Rahmen einer biologischen Landwirtschaft - unnötig machen. 
·         Der Film „Manderlay“ von Lars von Trier behandelt das Problem des Nicht-neu-erschaffen-könnens sehr eindrucksvoll, veranschaulicht an einer Farmbelegschaft, die sich aus sklavenähnlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu befreien versucht.
Neben den aus guten Gründen häufig schon konsensualen Vorstellungen der Gesellschaft über die sinnvolle Organisation produktiver Tätigkeit und den dazu kommenden “linken” Ansätzen, sollte die Frage des Neu-erschaffen-könnens eine zentrale Stellung einnehmen. Sie muss für viele Tätigkeitsfelder untersucht werden, wird aber in vielen Fällen nur durch Versuch-und-Irrtum entschieden werden können. Ihre Beantwortung kann - anders ausgedrückt - in den meisten Fällen nur das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sein, für deren Ausgang die Effektivität der ein- oder anderen Organisationsform aber natürlich wesentlich mitentscheidend ist.  

            Make them expendable

Eine konzeptionelle Gesamtsicht der drei Wirtschaftsformen aus emanzipatorischer und linker Perspektive wird gegenüber einer traditionellen sozialistischen Sicht - eine Verschiebung der notwendiger Klassen- und anderer gesellschaftlicher Kämpfe fordern[17]. Das “Besiegen” des Gegners tritt in den Hintergrund gegenüber dem “Unnötig-machen”. Von John Holloway soll hierzu die Forderung „Make them expendable!“ stammen. Es kann sein, dass bei diesen Auseinandersetzungen (der von der radikalen Linken immer wieder angekündigten “letzten Schlacht”) Volkswagen, Daimler, E.ON, Siemens, BASF, Bayer, Allianz, Deutsche Bank, Lidl/Kaufland, Aldi - um ein paar zentrale deutsche Kandidaten zu nennen - tatsächlich als “Verlierer” vom Feld gehen, stark verkleinert und/oder vergesellschaftet werden und teilweise vielleicht auch ganz verschwinden. Dies ist aber nicht erstes Ziel der Auseinandersetzungen, sondern dieses lautet “Make them expendable! – Macht sie überflüssig!”. Teilweise werden diese Konzerne und ähnliche kapitalistische Unternehmen in abgespeckter Form auch weiterbestehen, mit Sicherheit aber insoweit umgebaut und dezentralisiert worden sein, dass die Politik nicht mehr von ihnen erpressbar ist, d.h. dass ihr Profit nicht mehr Voraussetzung für das Wohlergehen der Gesellschaft ist. Too-big-to-fail führt gegenwärtig jede Demokratie und jeden Primat der Politik ad absurdum.[18]

6          Wie und wo anfangen?

Bei Ideen, die die Notwendigkeit und Möglichkeit eines radikalen Umbruchs, einer Revolution, eines Paradigmenwechsels vertreten, stellt sich immer die Frage, wie diese Veränderungen eingeleitet werden können, auf welchem gesellschaftlichen Feld sie beginnen. Entsprechend lang ist die Debatte um Revolution, Reformen, Umbrüche, systemverändernde Reformen, Assimilation radikaler Ideen ins herrschende System usw. Zusätzlich zur Frage der notwendigen oder akzeptablen Radikalität des Wandels und der zu seinem Erreichen notwendigen Mittel, stellt auch die Frage nach „zentralen versus dezentralen Ansätzen“ eine weitere häufig diskutierte Option dar.     
Die Frage der Assimilation wird sich auch für den hier vorgeschlagenen Ansatz stellen, zumal er ja sogar von seiner Idee her Wirtschaftsformen integrieren will, was sicherlich wieder nur als Assimilation betrachtet werden kann, solange die kapitalistische Produktionsform vorherrschend ist. Wer aber auf Dauer wen “assimiliert”, kann nur ein Ergebnis der sozialen Auseinandersetzungen und des Überflüssig-Machens sein[19].
Zentrales oder dezentrales Vorgehen der „Revolutionäre“ ist bei diesem Ansatz kein Widerspruch mehr. Bestimmte Änderungen - wie beispielsweise die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens - benötigen mit Sicherheit Entscheidungen auf zentraler Ebene - wo auch immer die sich genau befindet. Das Überflüssig-Machen wird immer auf der Ebene stattfinden, auf der kapitalistische Strukturen ersetzt werden. Dies betrifft dezentrale Landwirtschaft und Versorgungsstrukturen, Kultur, handwerkliche Produktion bis zu globalen Konzernen wie Microsoft oder Volkswagen. Soweit eine integrierte, in ihrer praktischen Umsetzung im Einzelnen niemals endgültige Wirtschaftsform unter den oben dargestellten Bedingungen (1. Primat der Politik, 2. Demokratie, 3. Möglichkeit und Wirksamkeit des Handelns aller Einzelnen) konzeptionell angestrebt wird, können sich zentrale wie dezentrale Kämpfe, ökonomische Aktivitäten und technologische Entwicklungen in dieses allgemeine Ziel einbringen. Debatten, Konkurrenzen und Auseinandersetzungen um die Organisation der vielen Einzelfälle gesellschaftlich produktiver Tätigkeit werden davon selbstverständlich nicht ersetzt, aber sie können als Teil des Ringens um das gemeinsame Ziel angesehen werden oder sich sogar selbst so verstehen. 





[1] Die Bürgerinitiativen haben allerdings auch nicht versucht, die Unterbringung von 1000en zu organisieren, sich nicht – natürlich nicht – an denselben Maßstäben gemessen. Dennoch wurde deutlich, dass sie wesentlich effektiver waren und es geht ja auch nicht um den Ersatz des öffentlichen Sektors, sondern um dessen bewusste Vernetzung mit alltagskommunistischen Strukturen.
[2] Unter „Alltagskommunismus“ subsumiere ich zum einen Wirtschaftssubjekte und -formen des Kommunitarismus, solange sie sich nicht ununterscheidbar an andere, kapitalverwertungsgetriebene Marktsubjekte angepasst haben. Zum anderen gehören privatere, familiäre, nachbarschaftliche nicht-formelle Strukturen dazu, die nicht-kapitalistisch Werte schaffen.
[3] Hannah Arendt “Vita activa oder Vom tätigen Leben”, Piper Verlag München Zürich 14. Auflage 2014, ISBN 978-3-492-23623-2
[4]Dezentralität gehört daher zu den wichtigen Thesen in den hier gemachten Vorschlägen. Sie ist dennoch kein Selbstzweck. Es ist zweifelhaft, dass dezentral im Schnitt bessere Entscheidungen gefällt werden, sicher auch keine schlechteren. Aber mehr Menschen sind an den (vielen) dezentralen als den (wenigen) zentralen Entscheidungen praktisch beteiligt. D.h. wenn z.B. zwanzig kleine Bau- oder Investitionsentscheidungen getroffen werden, sind vermutlich in der Summe mehr Menschen daran beteiligt, als wenn nur eine große Entscheidung getroffen wird. Mehr Menschen entscheiden also über ihre konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen. Mehr Menschen können im Sinne H. Arendts „handeln“ und nicht nur „arbeiten“ oder „herstellen“. Außerdem ist bei dezentralen Entscheidungen die Gefahr von Fehlentscheidungen nicht so hoch, d.h. dezentrale Strukturen sind fehlertoleranter, zumindest wenn aus den Fehlentscheidungen auch diejenigen Menschen lernen können, die sie nicht selbst getroffen haben, aber an anderer dezentraler Stelle vor einer ähnlichen Frage stehen.
[5] Es stellt sich die Frage, ob möglichst hohe Freiheitsgrade in der eigenen Tätigkeit für alle Menschen eine Priorität darstellt, oder - selbst wenn die Aussage von Hannah Arendt über deren Anwachsen von der Arbeit über Herstellen zum Handeln eine Allgemeingültigkeit darstellt - nicht nur für sie und ähnlich veranlagte Menschen gilt. Andere könnten es auch als Freiheit ansehen, einen einfachen, körperlichen Job mit wenig „Freiheitsgraden“ zu machen, z.B. in der Natur, und sich nicht notwendiger Weise ständig mit der Komplexität von Sprechen und "Handeln" befassen zu müssen. Auch wenn dies so ist, so muss die Frage erweitert werden zu den „Freiheitsgraden“ oder der „Offenheit“ bei Verrichtung der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten und zusätzlich bezüglich der Freiheit außerhalb dieser notwendigen Tätigkeit. Eine wenig komplexe Arbeit, mit wenig Freiheitsgraden für 20 Std. in der Woche (mehr wäre heutzutage schon lange nicht mehr nötig) ist für viele Menschen sicher genau das richtige, wenn die gewonnene Freizeit dann persönlich sinnvoll genutzt werden kann. Gegenwärtig ist es aber so, dass eher ein Mangel an persönlich sinnvoller Arbeit herrscht; hervorgerufen durch mangelnde Freiheitsgrade, wobei Fließbandarbeit weniger wird, dafür die Einschränkungen bei den Tätigkeiten zunehmen, die früher zum „Handeln“ gehörten auf das Niveau maximal des Herstellens. Meist wird diese Änderung dann als „Professionalisierung“ geadelt, die in der Praxis allerdings nur mit mehr oder weniger Erfolgt funktioniert.
Unabhängig von dieser Diskussion sollten möglichst alle Menschen die Möglichkeit zur Arbeit mit vielen Freiheitsgraden haben, wenn sie dies wünschen.
[6] Bisher wurde Effizienz meist mit zentralen Strukturen assoziiert. Zentrale, große Strukturen bedeuten große Stückzahlen in der Produktion und sind in vielen Fällen tatsächlich effizient. Auch die behauptete Effizienz eines freien Welthandels und der Globalisierung geht darauf zurück. Jetzt muss sich jedes Land nicht mehr um alles kümmern, sondern nur noch um das, was es besonders gut kann und damit dann – mit einigen anderen großen Konkurrenten – die Weltbevölkerung versorgen. Vielleicht ändert sich das allerdings wieder im Rahmen der Industrie 4.0 mit 3D-Druckern etc. und mit Codes, die beliebig vervielfacht werden und dezentral genutzt werden können.
[7] David Graeber, “Schulden, die ersten 5000 Jahre”, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012,
ISBN 978-3-608-94767-0
[8] vgl.:  http://www.sueddeutsche.de/geld/mikrokredite-arm-und-abgezockt-1.20635
[9] Die Frage der Effizienz kann grundsätzlich bei Alltagskommunismus und Dezentralität ein Problem darstellen – obwohl es auch viele Fälle gibt, wo deren gewachsene, „automatische“ Verantwortlichkeiten im Vergleich zu Kapital und Bürokratie hoch effizient sind. Tendenziell spricht aus den Vorschlägen aber ein Abbau von Arbeitsteilung, was Effizienz drücken kann. Überspitzt gesagt: jede/r putzt, baut, kinderbetreut, gärtnert usw. selbst. Weniger Zeit bleibt dann für das, was jedeR besonders gut und/oder schnell erledigen kann.
Hier muss jeweils ein Optimum gefunden werden, wobei in einer hochproduktiven Gesellschaft der effizienteste nicht immer auch der beste Weg sein muss. Beispiel Landwirtschaft mit den Vorteilen einer weniger effizienten Bio-Produktion. Abgesehen davon hat sich die Arbeitsteilung effizienzgetrieben über eine gesellschaftlich sinnvolle Struktur hinaus entwickelt. Gegenwärtig führt die Arbeitsteilung und die damit verbundene hohe Zentralisierung z.B. mit dazu, dass in Deutschland 30 % der Lebensmittel weggeworfen werden, bevor sie die Kunden erreichen, Quelle: http://www.wwf.de/2015/juni/das-grosse-wegschmeissen/In der deutschen Wirtschaft werden jährlich 45 Mrd. € für Werbung ausgegeben - weltweit über 500 Mrd., das Doppelte von dem, was nötig ist, um bis 2030 den Welthunger zu beseitigen. Quellen:
http://www.zaw.de/zaw/aktuelles/meldungen/160519-ZAW-Jahresbilanz-Werbewirtschaft-2015.php
http://www.handelszeitung.ch/politik/welt-ohne-hunger-kostet-267-milliarden-dollar-810985
[10] Diese Wirtschaftshierarchie kann entsprechend der Abfallhierarchie in der Abfallwirtschaft, bzw. -gesetzgebung verstanden werden.
[11] So stellt sich z.B. die Frage, wann ein Kinderladen zum Bereich Alltagskommunismus gehört und wo der Übergang zu KMU bzw. zum öffentlichen Sektor stattfindet: sobald es die ersten Angestellten gibt oder erst später? Eine solche Frage kann möglicherweise nicht eindeutig beantwortet werden, denn die Wirtschaftsformen laufen sowieso ineinander, das ist ja gerade eine These dieses Textes. Dies sollte erkannt und dann die Einbeziehung des Alltagskommunismus auch bewusst angestrebt werden. Eltern haben ein besseres Verhältnis zu „ihrem“ Kinderladen, wenn sie dort auch mitarbeiten. Das ist (heutzutage?) - aus volkswirtschaftlicher Sicht mit Wachstumsparadigma - möglicherweise etwas weniger effektiv, denn sie könnten in der ausgefallenen Arbeitszeit produktiver in ihren Jobs arbeiten und auch mehr verdienen als die von ihnen ersetzten Hilfskraft- und Erzieherstunden zu Buche schlagen. Sie erhalten sich aber eine Struktur für ihre Kinder, die sie mitgestalten und in der sie sie auch ab und zu sehen. 
[12] Der Begriff der digitalen Allmende bezeichnet bisher den Teil digitaler Daten, die auch juristisch frei sind, für die das Urheberrecht also abgelaufen oder sonst wie freigegeben wurde. Vgl.: Melanie Dulong de Rosnay, Juan Carlos de Martín (Hrsg.): Digital Public Domain: Foundations for an Open Culture. Open Book Publisher 2012.
Es ist Auffassung des Autors dieses Textes, dass es sinnvoll ist, diese digitale Allmende erheblich zu erweitern und darauf zukünftige Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Dies geht sicher nicht ohne die Entwicklung von Möglichkeiten eines gerechten Ausgleichs für die jetzigen Rechteinhaber. Es sollte dabei aber eher über das „wie“ als über das „ob“ diskutiert werden, denn jede Zurückhaltung von Wissen/Fähigkeiten ist doppelt ineffektiv. Das Wissen kann nicht oder zumindest weniger angewandt werden, und zu seinem „Schutz“ werden wertvolle Ressourcen verschwendet.
Sicherlich ist es nicht einfach, hier einen Weg zum Umgang und zur gerechten und effizienten Vergütung von Eigentumsrechten, die in Allmende überführt werden, zu finden, insbesondere, wenn dieser Weg nicht zugleich zu einer Einheitskultur führen soll. Einige Ideen, die in den jeweiligen Fällen verfolgt werden sollten, sind z.B.:
Digitale Eigentumsrechte beibehalten, aber nur für relativ kurze Zeit (5 bis 10 Jahre); Freiwilliges Digitales Jahr;
Stiftungen (wie bei Wikipedia); Spenden sammeln und Crowdfunding; Rundfunkbeitrag erhöhen und z.T. umwidmen…
[13] In einigen Fällen wie der Agenda 2010 oder beim “Sparen bis es quietscht” (Wowereit 2001) gehen die Apologeten der Sozialen Marktwirtschaft - gerade wenn sie aus der Sozialdemokratie kommen - aber immer wieder weit über das hinaus, was für das System an Rendite-Absicherung durch Umverteilung von unten nach oben tatsächlich notwendig wäre. Warum sie dies tun, vielleicht um den großen Kapitalgesellschaften vorauseilenden Gehorsam zu dokumentieren und sie so gnädig zu stimmen, sollte weiter untersucht und idealerweise abgestellt werden.
[14] Die Frage nach Eigentumsstrukturen und Entlohnung in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen stellt sich natürlich.  Wenn ein System-Administrator in einer Firma gut bezahlt werden kann, ist ihm das vielleicht wichtiger, als eine gute öffentliche/alltagskommunistische Suchmaschine zu bauen. Grundsätzlich würde selbstverständlich nicht die Tätigkeit an einem angebotenen Arbeitsplatz begrenzt, sondern der Privatbesitz an bestimmten Produktionsmitteln, die ein Zurechtstutzen des Marktes ad-absurdum führen würden. Genossenschaftlicher und kommunaler Besitz sind aus linker Sicht möglicherweise sympathischer als privater, aber auch das eigene Häuschen oder die Eigentumswohnung helfen gegen Spekulation mit Wohnraum. Und private Anbieter von industriellen und Dienstleistungsprodukten zerstören nicht per se den Primat der Politik.
Facebook ist sinnvollerweise ein Monopol und sollte deshalb sozialisiert oder in einer Mischform aus öffentlich und alltagssozialistisch (vgl. Wikipedia) überführt werden. Natürlich lässt sich in der digitalen Welt schnell ein „Mitbewerber“ programmieren, aber sinnvoll ist das nicht. Es werden ja auch nicht mehrere U-Bahn-Netze gebaut, sodass wir uns in der realen Welt nur besuchen können, wenn wir dasselbe Netz gewählt haben oder uns für die anderen Freunde gleich eine ganze Sammlung an Monatskarten leisten. 
[15] Es stellt sich dennoch die Frage, wie in alltagskommunistischen Strukturen sichergestellt werden kann, dass sie sich nicht zu Lasten von Schwächeren entwickeln. Beispiel: Kinderladen in Prenzlauer Berg - versus Kinderladen in Gropiusstadt. Bekommen die Kinder in beiden Einrichtungen gerechte und möglichst gleiche Chancen? Was ist mit den Kindern, deren Eltern Kinderbetreuung nicht organisieren können oder wollen? Grundsätzlich wird der Staat die Verantwortung nie los und muss Unterschiede ausgleichen. Dies gilt aber in jedem System und heutzutage neben den Ungerechtigkeiten, die das Kapital direkt und willentlich durch die ungleiche Reichtumsverteilung produziert, z.B. auch für Kinder, deren Eltern sie vernachlässigen und wo der Staat dann mit Familienhilfe und ggf. Sorgerechtsentzug eingreifen muss. Dies kann sinnvollerweise nicht dazu führen, allen Eltern präventiv die Kinder nach der Geburt wegzunehmen, weil dem alltagskommunistischen System Familie nicht getraut werden kann. Andere Beispiele für diese Problematik finden sich im Teil 3 „Einstieg in die Praxis“.
[16] Das Mietshäuser Syndikat https://www.syndikat.org/de/ entwickelt seit längerem eine Struktur, in der trotz wachsender Größe und relativ kapitalintensiven Aktivitäten für Wohnungsneubau, Wohnen nicht zur Ware werden kann und alltagskommunistische Strukturen erhalten bleiben sollen.   
[17] Aus dieser emanzipatorischen Perspektive bleibt allerdings ein möglichst großer Anteil an Alltagskommunismus und Staat/Kommune gegenüber Kapital/Markt zu wünschen.
[18] Zur Frage der Durchsetzung der hier vorgeschlagenen radikalen Änderungen fallen mir keine anderen Wege ein, als sie bisher in linken Strukturen angestrebt und gegangen werden. Viele gesellschaftliche Auseinandersetzungen werden dafür notwendig sein. Allerdings besteht die Hoffnung, dass durch die angestrebte bewusste Verbindung der drei Wirtschaftsbereiche den Kämpfen gegen Kapitalinteressen und -strukturen und gegen bürokratische Molochs jeweils um die positiven Elemente alternativer Organisationsstrukturen ergänzt werden können und dafür nicht auf die große Revolution bzw. den Sozialismus gewartet werden muss.
Außer bei großen Kapitalien und zentralen Strukturen, bei denen „Too big to fail“ oder Monopolstrukturen vorliegen, sollte nicht mit Enteignung oder Verbot vorgegangen werden. Wichtig ist, dass sich die praktische Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Hierarchie pro Alltagskommunismus und öffentlichem Sektor ausrichtet. Bei einem aktuellen Anteil der öffentlichen Haushalte von immer noch über 40 % am BIP sollte sie dazu in der Lage sein. Natürlich ist unsicher, wie die Gegner einer solchen Politik, insbesondere die im Kapitalismus herrschende Klasse, darauf reagieren. Wir sollten aber auf keinen Fall die ersten sein, die schießen.
[19] Bisher hat das Kapital noch alle Wertschöpfungsmöglichkeiten assimiliert. Wenn es ihm nicht aus der Sphäre daran gehindert wird, wird es dies mit Sicherheit wieder tun. Ohne „Primat der Politik“ ist der Ansatz also zum Scheitern verurteilt.

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