Einstieg in die Praxis
Einstieg in die Praxis
Der Vorschlag, die Wirtschaftsformen Alltagskommunismus,
Staat/Öffentlicher Dienst und Kapital/Markt konzeptionell zusammenzudenken, ist
hiermit skizziert, wissenschaftlich noch nicht weiter unterlegt, aber als
erster Aufschlag fertig gestellt.
Für eine bessere Anschaulichkeit des Vorschlags, für einen
ersten Plausibilitätstest und zur näheren Betrachtung der in der Praxis immer
auftretenden Mischformen sollen im Folgenden für ausgewählte
Wirtschaftsbereiche beispielhaft mögliche Zuordnungen der o.g.
Wirtschaftsformen vorgestellt und diskutiert werden.
1 Alltagskommunismus, Ehrenamt und politisches Engagement
Markt/Kapital sowie
Staat/Öffentlicher Dienst sind in der Wirtschaftslehre ausführlich diskutiert
worden. Hier sollen sie dennoch - ebenso
wie monetär nicht bewertete Leistungen - in einem kurzen Einschub definiert
werden. Dies dient auch der Abgrenzung des Alltagskommunismus von den häufig
unklar oder sich überschneidend verwendeten Begriffen Ehrenamt und
(politisches) Engagement.[1]
Markt/Kapital
In den Bereich
Markt und Kapital gehören alle produktiven Tätigkeiten, die auf einen zunächst
anonymen Markt zielen, in dem sie oder ihre Produkte verkauft werden sollen.
Die auf dem Markt zu erzielende Vergütung ist die Triebfeder[2] und das Ziel dieser Tätigkeit.
Staat/Öffentlicher Dienst
Zum
Staat/öffentlichen Dienst zählen alle produktiven Tätigkeiten, die von diesem
für die in ihm lebenden Bürgerinnen und Bürger kostenlos oder gegen eine
Aufwandsentschädigung zur Verfügung gestellt werden. Ziel der Tätigkeit ist die
Sicherstellung guter Lebensbedingungen und der dafür benötigten Ressourcen wie
Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Sicherheit, Grundversorgung usw.
Alltagskommunismus
Zum
Alltagskommunismus gehören alle produktiven Tätigkeiten, inklusive
Dienstleistungen, Pflege usw., die der Bedürfnisbefriedigung einer Gruppe,
einer Familie etc. dienen, zu der der Tätige gehört, in der aber nicht monetär
abgerechnet oder gegen andere Leistungen oder Produkte getauscht wird. Der
Tätige erbringt die Tätigkeit freiwillig, zum Nutzen aller Beteiligten und
damit nur indirekt teilweise auch für sich selbst.
Ehrenamt
Dem Ehrenamt werden
alle Tätigkeiten zugeordnet, die nicht dem Tätigen oder einer Gruppe, der er
angehört, sondern Dritten dienen. Triebfeder ist hier in erster Linie das
Wohlergehen dieser Anderen. Zusätzliche eigene Vorteile - sich gut/gerecht
fühlen, Dankbarkeit oder Anerkennung erhalten - haben zumindest keinen
entgeltlichen Ausdruck.
Engagement
Unter Engagement
werden Tätigkeiten gefasst, die die Interessen des Tätigen oder einer Gruppe,
der er sich zugehörig/solidarisch fühlt, unterstützen. Die Durchsetzung dieser
Interessen - politisch, gewerkschaftlich, religiös, ökologisch…- sind hier die
Triebfedern der Tätigkeit.
Natürlich wird es
bei den meisten Tätigkeiten eine Überschneidung der verschiedenen Aspekte
geben. Für die Diskussion der Wirtschaftsformen wird von der jeweils
hauptsächlichen Triebkraft einer Tätigkeit ausgegangen.
2 Beispielhafte Zuordnungen ausgewählter Wirtschaftsbereiche
Landwirtschaft
Die heutige moderne Landwirtschaft versteht
sich als Teil der Marktwirtschaft und ist ganz wesentlich in sie eingebunden.
Davon bestehen im Rahmen von Subsistenzwirtschaften bei Kleinbauern in Ländern
der 3. Welt auch (noch?) alltagskommunistische Strukturen, das Gleiche gilt
teilweise für die internen Strukturen von Familien- und kleinen Ökobetrieben,
die nach außen dann aber als Marktteilnehmer auftreten. In der EU ist die
Landwirtschaft stark reguliert und auch subventioniert. Daher kann mittlerweile
auch davon gesprochen werden, dass auch der öffentliche Sektor starken Einfluss
auf Art und Menge der landwirtschaftlichen Produktion hat. Kleinbäuerliche
Strukturen mit intern familiären/alltagskommunistischen Organisationsformen
nehmen dagegen in industrialisierten Staaten kontinuierlich ab, wobei
Kleinbauern nach außen sowieso als Marktanbieter auftreten - und dies aufgrund
niedriger Produktivität häufig unter schlechten Bedingungen.
Über die weitere Entwicklung gibt es heftige
Auseinandersetzungen. Wirtschaftsliberale setzen sich für eine Deregulierung
und die Abschaffung der Subventionen ein. Aus Umwelt- und linker Sicht wird mit
dem Umstieg auf ökologische Produktionsweisen der Verzicht auf Chemikalieneinsatz,
Steigerung der Qualität und dezentralere und naturnähere Bewirtschaftungsformen
inklusive Tierschutz gefordert. Die Subventionierung der Produkte würde dann
evtl. ebenfalls wegfallen. Sie würde allerdings ersetzt durch eine Finanzierung
für die in Kombination mit der Lebensmittelproduktion gelieferten Leistungen im
Bereich des Natur-, Boden- und Grundwasserschutzes. Die Regulierung würde also
bestehen bleiben, dabei aber an anderen Kriterien ausgerichtet werden. Die
Landwirtschaft würde damit anteilig zum Auftragnehmer der öffentlichen Hand.
Wichtig ist darüber hinaus die Erkenntnis, dass heutige industrielle
Landwirtschaft nur dann als besonders effizient angesehen werden kann, wenn die
Verbräuche und Folgen von Chemikalien und fossiler Energie nicht
mitberücksichtigt werden. In einer ökologisierten und in weiten Bereichen
vermutlich auch dezentralisierten Landwirtschaft würde dort möglicherweise
wieder mehr als die aktuellen 0,9 % des BIP erwirtschaftet und entsprechend
mehr Menschen arbeiten, allerdings würden andere “Vorprodukte” der Industrie
weniger benötigt und der entsprechende ökologische Zusatznutzen erarbeitet.
Auch eine Verdreifachung des BIP-Anteils würde sicher nicht dazu führen, dass
wir wieder eine “Agrargesellschaft” werden.
Bei einer solchen Perspektive bleibt die
Landwirtschaft grundsätzlich im Marktsektor mit stärkeren Eingriffen/Vorgaben
des Staates und - im Rahmen auch dezentraler Produktionsformen - einem
Wiedererstarken alltagskommunistischer Anteile.
Industrie
Die Industrie ist im Kapitalismus die
zentrale marktbezogene Produktionsform. Da hieraus große, darunter auch
politische Abhängigkeiten und entsprechende Macht erwachsen, haben
sozialistische Gesellschaften mindestens die zentralen Bereiche wie Grundstoff-
und Schwerindustrie verstaatlicht. Diese Abhängigkeiten der Politik von der
Industrie werden selbst dort deutlich, wo die Industrie Entwicklungen
einschlägt, die längerfristig für sie selbst schädlich sind. Aktuelle Beispiele
sind hier die bundesdeutsche Autoindustrie und Energieversorgung, die auf
längerfristig nicht tragfähige Konzepte (Verbrennungs-/Dieselmotoren und
zentrale Kohle- und Atom-Großkraftwerke) gesetzt haben, viele Jahre in dieser
Unternehmenspolitik staatlich geschützt und unterstützt wurden und jetzt in
ihrem Bestand bedroht sind.
Stärkere staatliche Kontrollen und Vorgaben
sind hier also aus verschiedenen Gründen notwendig. Wie weit diese Vorgaben
gehen sollten, um andererseits die Fehler der sozialistischen Staaten
hinsichtlich Erstickung von Innovationen und Verlust von Effizienz in einer
“Kommandowirtschaft” zu verhindern, wird jeweils austariert werden müssen.
Eine stärkere Dezentralisierung der
Produktion sowie genossenschaftliche bis hin zu alltagssozialistischen
Produktionsformen wird durch die immer größere Bedeutung der
Informationstechnologie (IT) möglich und wahrscheinlich. Typisches Beispiel ist
hier der 3D-Drucker. Die Weiterentwicklung dieser Geräte bedeutet, dass die
Fähigkeit zur Produktion immer stärker nur noch abhängt von der Verfügung über
die jeweils benötigten Rohstoffe sowie von der jeweils das gewünschte Produkt
definierende Software, die - da beliebig kopierbar - einmal vorhanden eine
natürliche Allmende darstellt.
Baugewerbe
Ebenso wie die Industrie ist auch die gegenwärtige
Bauindustrie wesentlich marktwirtschaftlich organisiert. Staatlicher/kommunaler
Einfluss erfolgt hauptsächlich durch Auftragsvergabe, sei es für
Infrastrukturprojekte oder im Bereich öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften.
Verbunden mit dem Grundstücks- und
Wohnungswesen bietet sich im Baugewerbe eine stärkere Einbeziehung
alltagskommunistischer Wirtschaftsformen an. Hierzu zählt traditionell der Bau
des eigenen Einfamilienhauses unter relevanter Erbringung von Eigenleistungen,
natürlich auch im Bereich der Sanierung und Instandhaltung. Im ökologisch
sinnvolleren Geschossbau gibt es unterschiedliche Baugruppen- und
Genossenschaftsmodelle, die ebenso auf der Erbringung von Eigenleistungen
gründen, z.T. unterstützt von staatlichen Förderprogrammen.
Eine solche Förderung ist insbesondere
geboten, wenn sich Arbeits- und Wohnungslosigkeit kombinieren. Wenn aktuell in
Südeuropa dauerhaft eine 50 prozentige Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen und
jungen Erwachsenen herrscht, denen es auch nicht möglich ist, eine eigene
Wohnung zu beziehen, ist es nicht nur unsozial, sondern auch wirtschaftlicher
Unfug, wenn diese Menschen nicht in die Lage versetzt werden, sich ihre Wohnung
zu bauen.
Einzelhandel
Im Einzelhandel bietet sich eine Stärkung
genossenschaftlicher Strukturen an, sinnvollerweise vernetzt mit den
Produzenten, was die Bedeutung großer Handelsketten beschränkt. Einerseits
können solche Strukturen durch IT heute wesentlich einfacher organisiert werden
und wachsen als früher. Andererseits drohen neue Monopole, wie am Beispiel
Amazon[3]
deutlich wird. Allein auf die Bewusstheit und das Gegensteuern der Kunden zu
setzen, wird hier nicht ausreichen. Eigentlich ist es eine öffentliche Aufgabe,
Plattformen für die Abwicklung von Handel bereitzustellen. Möglicherweise kann
auch eine gemeinnützige Stiftung diese Aufgabe übernehmen. Auf dieser Plattform
kann dann neben marktwirtschaftlichem auch alltagskommunistischer Austausch
erfolgen, wie Angebote zum Verschenken oder Verleihen.
Bei Lebensmitteln und einer Reihe weiterer
Waren des Einzelhandels handelt es sich um Güter der Daseinsvorsorge. Aufgrund
der Kleinteiligkeit und der Vielfältigkeit des Angebots ist eine staatliche
Versorgung hier aber unangebracht, solange - idealerweise über ein
bedingungsloses Grundeinkommen - staatlich sichergestellt ist, dass von allen
Menschen ausreichend Lebensmittel etc. erworben werden können.
Verkehr und Transport
Die aktuell immer noch bestehende starke
Ausrichtung der Mobilität auf PKW und LKW ist mit einer Reihe von negativen
Folgen im Gesundheits-, Städtebau- und Umweltbereich verbunden und muss schon
aus Energie-, Klima- und Ressourcengründen weltweit verändert werden. Aufgrund
der absehbaren Möglichkeit autonomer Fahrzeuge werden hier sowieso starke
Änderungen auftreten. Zu wünschen ist, dass der alltagskommunistische Anteil,
mit dem die PKW-Kultur und ihr Freiheitsversprechen auch immer verbunden sind,
auf andere Verkehrsträger übertragen werden kann. Dieser Alltagskommunismus
wird auch daran deutlich, wie selbstverständlich es ist, zumindest Bekannte im
eigenen Auto mitzunehmen. Ein Mobilitätssystem aus Komponenten der
unterschiedlichen Wirtschaftsformen würde beinhalten:
·
Priorität von Fahrrad, Fußgänger und weitgehend
steuerfinanziertem ÖPNV.
·
Staatliche Infrastruktur für Fernverkehr und
-Transport (Schienen, Straßen, Wasserwege, Post).
·
Mietmöglichkeit (Fahrerlose PKW und LKW) bzw.
Ticketkauf (Bahn, Bus, Flugzeug) von öffentlichen wie privaten Anbietern von
Mobilität.
Information und Kommunikation
Die Informations- und Kommunikationstechnologie(IKT)
ist theoretisch der alltagskommunistische Wirtschaftsbereich schlechthin, wie
bereits oben dargestellt wurde. Das Recht am geistigen Eigentum einer Software
ist nur notwendig, wenn es Voraussetzung für ihre Erstellung/Programmierung
ist. Wenn sich andere Organisationsformen finden, die ja im Bereich der IKT als
“Open Source” nicht selten sind, beschränken sich die Forderungen des geistigen
Eigentums auf Nennung der Urheberschaft, wie bei Zitierregeln in Texten. Die
IKT stellt den größten Wachstumsbereich der Wirtschaft dar und wird dauerhaft
alle anderen Bereiche revolutionieren.
Es ist ein zum Verlieren vorbestimmter
Abwehrkampf, wenn das Problem der Wertschöpfung in Zeiten von IKT durch immer
neue Gesetze und Überwachungsmethoden zur Eindämmung der neuen Produktivkraft
gelöst werden soll. Wenn sich ein Staat hier wirtschaftlich selbst ins Knie
schießen will, so muss er nur möglichst stur auf den alten Regeln beharren.
Auch hier stellt sich allerdings das Problem
der Verfügungsgewalt über die neue Infrastruktur. Diese sollte demokratisch
kontrolliert und öffentlich oder genossenschaftlich bereitgestellt werden.
Bezogen auf die Verfügungsgewalt und damit der dahinterstehenden Interessen,
ist Facebook als Negativbeispiel und Wikipedia als positives Beispiel zu
nennen. Dies sagt nichts darüber aus, dass auch auf Facebook sinnvoller
sozialer Austausch stattfindet und auch in Wikipedia Interessengruppen bei der
Content-Erstellung mitspielen.
In diesem Sinne ist die “Enteignung”
Facebooks heute vermutlich dringender als die von Springer oder Siemens.
Grundstücks- und Wohnungswesen
Auch das Wohnen ist seit der Entstehung
großer Städte während der Industrialisierung immer mehr zur Ware geworden, für
die es als elementares Grundbedürfnis und damit Aufgabe der Daseinsvorsorge in
keiner Weise geeignet ist. Dies beweisen Wohnungsnot und frierende Mieter
selbst in reichen Ländern, in denen eine Hungersnot undenkbar wäre.
Stärker noch als im wirtschaftlich
verflochtenen Wohnungsbau (s.o.) drängt sich hier eine Mischung aus
staatlichen, genossenschaftlichen und alltagskommunistischen
Organisationsformen auf. Denn im Gegensatz zum Baugewerbe wird bei der
Gebäudeverwaltung weniger differenziertes Fachwissen unterschiedlicher Berufe
benötigt, wie 15 Mio. Einfamilienhäuser in Deutschland beweisen, die ohne
professionelle Hausverwaltungen auskommen. Wohnen im Geschosswohnungsbau ist
ökologisch und energetisch sinnvoller als in Einfamilienhäusern, und es ist die
Voraussetzung, um die weitere Zersiedelung der Landschaft in der Nähe von
Großstädten zu vermeiden. Die Hausverwaltung ist hier zwar organisatorisch und
eigentumsrechtlich etwas komplizierter als bei Einfamilienhäusern; staatliche/öffentliche
Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften sind aber ausgereift, und auch
alltagskommunistische Organisationsformen mit oder ohne
individuelles/familiäres Eigentum werden erfolgreich entwickelt, wenn sie auch
noch keine große gesamtgesellschaftliche Relevanz haben.
In Berlin beispielsweise macht das
Grundstücks- und Wohnungswesen mit über 13 Mrd. € über 10 % der jährlichen
Wertschöpfung und damit den größten Einzelposten im BIP aus. Neben der sozialen
Bedeutung der Wohnraumversorgung wäre hier eine nicht an Kapitalverwertung
orientierte Organisationsform also auch gesamtwirtschaftlich von großer
Tragweite.
Finanz- und Versicherungswesen
Im Finanz- und Versicherungswesen zeigt sich
die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus besonders deutlich, weil in dieser
Branche, insbesondere beim Investmentbanking, das Kapital gehandelt wird, das
auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten ist. Große Kapitalmengen, die in als
attraktiv vermutete Marktsektoren strömen, führen zur Überbewertung dieser
Sektoren – zu „Blasen“ - , bei deren Platzen eine entsprechende
Kapitalvernichtung stattfindet. Finanzmarktprodukte mit Wetten zur spezifischen
Marktentwicklung und mit Fremdkapitaleinsatz erzielen eine Hebelwirkung und
verstärken somit Verluste bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals,
auch wenn eine “Marktbereinigung” zunächst nur einen - möglicherweise geringen
- prozentualen Wertverlust mit sich gebracht hat.
Wesentliche notwendige Dienstleistungen wie
Organisierung des Zahlungsverkehrs, Angebot von Versicherungsleistungen und
Bereitstellung von Kapital (Kredit) für Investitionen im Gewerbe, aber auch im
Privatbereich zur Eigenheimfinanzierung etc., können jetzt schon
Genossenschaftsbanken oder öffentliche Sparkassen übernehmen, die sich am
Investmentbanking nicht beteiligen. Der Anteil dieser öffentlichen und
genossenschaftlichen Kapitalverwaltungsgesellschaften sollte also wesentlich
gesteigert werden. Die Aktivitäten der verbleibenden (Groß-) Banken mit
Angeboten im Investmentbanking sollten zum einen durch eine
Finanztransaktionssteuer gedämpft werden, zum zweiten sind durch entsprechende
Sicherheiten die Kunden-Einlagen gegen die Verluste im Investmentbereich zu
schützen. Zum dritten muss außerdem durch eine entsprechende Kartellaufsicht
sichergestellt werden, dass auch im Finanzwesen keine Kapitalkonzentrationen
entstehen, die nicht pleitegehen können, ohne das Wirtschaftssystem zu
gefährden, “Too big to fail” darf auch hier nicht wieder auftreten.
Neben diesen Maßnahmen entstehen durch die
IKT-Entwicklung auch im Finanzwesen Möglichkeiten der Dezentralisierung.
Insbesondere gilt das durch die Blockchain-Technologie, bei der Daten
kryptographisch so gespeichert werden, dass sie nicht mehr geändert oder
entfernt werden können. Für Transaktionen, aber auch andere Absprachen wie
E-Voting Systeme oder den Aufbau virtueller Organisationen, kann daher zwischen
den Beteiligten nachprüfbares Einvernehmen hergestellt werden, ohne einen
vertrauenswürdigen Dritten oder eine zentrale Instanz - bei Geldgeschäften bisher
üblicherweise die Bank - zu benötigen. Mit dieser Technologie - bekanntestes
Beispiel ihrer Anwendung ist die virtuelle Währung Bit Coin - kann also jedes
Geschäft wie beim Bargeld dezentral abgewickelt werden, ohne dass ein Betrug
befürchtet werden muss. Konten bei Banken werden damit tendenziell unnötig.
Öffentliche Verwaltung
Wie der Name schon sagt, ist die öffentliche
Verwaltung staatlich organisiert und angeleitet sowie an entsprechend
vorgegebenen Zielen ausgerichtet. Zur Steigerung von Effizienz und
Dezentralität kann es sinnvoll sein, Untergliederungen in Eigenbetriebe oder
andere öffentliche Sondervermögen auszugliedern, die in begrenztem Rahmen ihre
eigene Struktur aufbauen und nach außen als Marktsubjekte auftreten können. Die
in vergangenen Jahrzehnten häufig gehypten stärkeren Verzahnungen wie PPPs und
Kapitalgesellschaften mit gleichzeitig öffentlichen und privaten Eigentümern
führen dagegen schnell zu Strukturen, die „die Gewinne privatisieren und die
Verluste sozialisieren”, zusätzlich drohen Strukturen mit Anfälligkeit für
Ineffizienz und Korruption. Vergabe von Aufträgen an private Unternehmen,
Genossenschaften, Kollektive und Selbstständige (wobei die letzteren Gruppen
intern auch alltagskommunistisch organisiert sein können) können natürlich in
vielen Fällen sinnvoll sein, wobei hier ebenso auf die Vermeidung von
Korruption geachtet werden muss.
In Bereichen der öffentlichen Verwaltung ist
die möglichst durchgehende Transparenz aller Entscheidungen wichtig, um eine
vertrauensvolle Kooperation mit den - von den Entscheidungen betroffenen -
BürgerInnen zu erreichen. Durch partizipative Methoden ist außerdem, wann immer
möglich und vom Aufwand her vertretbar, die direkte Einbeziehung der
Betroffenen in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse zu gewährleisten.
Kultur, Kunst, Erholung
Dieser Bereich ist gegenwärtig in allen drei
beschriebenen Wirtschaftsformen organisiert, wobei ein Großteil des
alltagskommunistischen Teils nicht monetär bewertet wird und deshalb im BIP
auch nicht auftaucht. Dies gilt für den Breitensport, Amateur-Theater oder
-Chöre und entsprechende Aktivitäten in Freundesgruppen und Familien, aber auch
für YouTube-Auftritte, die maximal werbefinanziert sind, für Fan Fiction und
andere Internet-Romane.
Typische öffentliche Kultur ist gegenwärtig
die sog. Hochkultur, wie Oper, Theater, große Orchester und “anspruchsvolle”
Filme, deren Produktionen als Teil der (kulturellen) Volksbildung angesehen
werden, und die Angebote von Musik- und Volkshochschulen etc.
Privatwirtschaftlich organisiert sind die großen Filmgesellschaften, der
Kunstmarkt, der Buchmarkt, aber auch Sport-Profi-Vereine etc.
Durch die Entwicklung der IKT erhält auch
der kulturelle Bereich neue Möglichkeiten insbesondere zur Verbreitung, aber
auch zur Entwicklung seiner (neuen) Produkte. Hierdurch entstehen auch
dezentrale, individuelle und alltagskommunistische Möglichkeiten zur Produktion
und Veröffentlichung von Kunst und Kulturgütern. Die wachsende Problemstellung
aus dem Bereich IKT “Wie umgehen mit geistigem Eigentum?” gilt also auch hier.
Diese Probleme im Wesentlichen durch Verbote und Schutzsysteme lösen zu wollen,
ist einerseits ein nur rückwärtsgewandter Abwehrkampf und andererseits ein auf
Dauer schädliches Entwicklungshindernis. Andere Möglichkeiten zur gerechten
Finanzierung von Künstlern, Kulturschaffenden etc. müssen gefunden werden.
Dort, wo Schutzrechte bestehen bleiben sollten, müssen sie der Form nach und
insbesondere von der Dauer her erheblich eingeschränkt werden. Die Schutzdauer
im deutschen Urheberrecht, die erst 70 Jahre nach dem Tod des Autors ausläuft,
ist absurd. Sie hat offensichtlich nichts mit der Ermöglichung kreativer
Arbeiten durch Absicherung ihrer Ergebnisse zu tun.
Aus sozialer, wirtschaftlicher und aus Sicht
der jeweils individuellen Entwicklung ist eine Stärkung der Dezentralität und
des “Selbermachen statt Konsumieren” anzustreben. Alle drei Wirtschaftsformen
werden dabei erhalten bleiben und auf dezentraler Ebene möglicherweise
unterschiedliche Kooperationen eingehen, wie im mittlerweile üblichen Beispiel
einer kollektiv organisierten Band, die unentgeltlich in einer öffentlich
geförderten Einrichtung probt und ihre sonstigen Auslagen durch den Verkauf von
DVDs oder über Einstellung bei Internetanbietern wie spotify finanziert.
Aber auch die heute üblichen öffentlichen
und privaten Großproduktionen werden erhalten bleiben, wobei die privaten
Kulturunternehmen mit den immer einfacheren und qualitativ hochwertigeren
Reproduktionsmöglichkeiten größere Schwierigkeiten haben werden als die
öffentlichen, die sich ja üblicherweise darüber freuen, wenn ihr geistiges
Eigentum “geklaut” wird.
Unterricht, Erziehung, Gesundheits- und Sozialwesen
Unterricht wird in Deutschland üblicherweise
staatlich organisiert. Hinzu kommen private und weltanschauliche wie kirchliche
oder reformpädagogische Angebote. Bei der Weiterentwicklung dieser Struktur ist
darauf zu achten, dass bei der Allgemeinbildung die privaten,
gewinnorientierten, auf Schulgeld angewiesenen Angebote nicht überhandnehmen.
In Einzelfällen liefern sie, da verbunden mit finanziellen Interessen, ganz
einfach schlechte Ergebnisse. Hauptproblem bleibt aber die Entstehung einer
Zweiklassengesellschaft in der Bildung, wenn Voraussetzung für gute Bildung von
der Möglichkeit der Eltern, ein hohes Schulgeld zu bezahlen, abhängt.
Alternative, nicht gewinnorientierte Bildungsangebote sind dagegen bis zu einem
gewissen Anteil zu begrüßen, da sie häufig schneller und weniger bürokratisch
auf neue Anforderungen reagieren und Pädagogik praktisch weiterentwickeln
können als staatliche Schulen. In vielen Fällen werden so entwickelte
Bildungsansätze und -module später in den öffentlichen Schulen übernommen. Auch
im Bildungsbereich gilt, dass die Entwicklung von IKT die Möglichkeiten gerade
alltagskommunistischer Organisationsformen erhöht. Wissen kann dadurch sowieso
als Allmendegut für alle Menschen bereitgestellt werden. Aber auch das
Selberlernen oder die Arbeit von Nicht-Fachkräften, die in ihrem persönlichen
Umfeld als “Lehrende” aktiv werden wollen, kann durch e-learning-Tools,
Infotainment etc. erheblich vereinfacht werden.
Der Großteil der Erziehung findet
traditionell alltagskommunistisch in den Familien statt, wobei dieser Anteil,
wie üblich, im BIP nicht auftaucht. Gerade linke Politik befördert hier häufig
einen stärkeren Einfluss des Staates, insbesondere um für sozial- und
bildungsbenachteiligte Kinder Chancengleichheit zu ermöglichen. Sinnvoll
erscheint es bei Wahrung der Interessen aller Kinder, wo immer möglich die
Mitgestaltung durch alltagskommunistische Strukturen zu schaffen, wie dies z.B.
bei Kinder- oder Schülerläden der Fall ist.
Auch im Gesundheits- und Sozialwesen ist
diese Kombination staatlicher und alltagskommunistischer Strukturen
anzustreben. Als Sozialstaat darf der Staat die Verantwortung für diese
Bereiche nicht abgeben. Die zunehmende Privatisierung der Leistungen in diesem
Bereich erbringt außer kurzfristigen Einsparungen auf Kosten der
ArbeitnehmerInnen keine Vorteile und führt langfristig zu immer schlechteren
und z.T. unverantwortlichen Bedingungen für die Beschäftigten und Patienten. Im
Gegensatz dazu erscheint die Kombination mit alltagskommunistischen Strukturen
sinnvoll und dauerhaft tragfähig. Beispiele hierfür sind etwa: Die Befähigung
der Patienten zur Übernahme von Teilverantwortung statt den „Göttern-in-Weiß“
ausgeliefert zu sein; die Förderung von Gesundheitsbewusstsein;
Vorlese-Angebote von Senioren in Schulen; Unterstützung von geflüchteten
Menschen; Eltern, die bei ihren Kindern im Krankenhaus übernachten und diese
mitversorgen, Tafeln für Obdachlose usw.
Insgesamt erscheint es gerade in diesem
“sozialen”, aber auch in den anderen Bereichen wichtig, gute Kooperationen von
Staat und Alltagskommunismus zu entwickeln. Hierbei kann der Staat seine letztliche
Verantwortung nicht abgeben, was ihn aber nicht dazu verleiten sollte, mit
dieser Begründung auch alle Entscheidungen treffen zu wollen.
Alltagskommunismus, der auf Dauer funktionieren soll, setzt
Selbstverständlichkeit und Selbstverantwortung voraus und damit das Gegenteil
vom Warten auf staatliche Entscheidungen. Alltagskommunistische Strukturen
müssen also weitgehend ihre Entscheidungen eigenständig treffen können. Die
Bürokratie reagiert häufig mit dem Reflex: “Wir müssen das entscheiden, denn uns
macht man schließlich nachher für das Ergebnis verantwortlich”, was dann auch
zu Beamtenmikado führen kann, wo sich niemand mehr bewegt, wo Flüchtlinge im
Regen fast erfrieren, weil das daneben errichtete beheizte Zelt noch keine
Brandschutzabnahme hat, oder jahrelang in Turnhallen leben, weil die
europaweite Betreiber-Ausschreibung der schon länger errichteten Unterkünfte
sich immer wieder verzögert.
Aber dieses Problem der geteilten
Verantwortlichkeit ist eigentlich nicht neu. Der Staat beispielsweise hat die
Verantwortung, Kindeswohlgefährdungen zu verhindern. Dennoch lässt er selbstverständlich
Eltern i.A. selber für ihre Kinder sorgen und hat nicht in jedem Kinderzimmer
eine Web-Cam installiert.
Voraussetzung für die Kooperation ist
gegenseitige Akzeptanz und Entwicklung von Selbstverständlichkeit im Umgang
miteinander.
Kontakt
Kommentare, Kritik,
Ideen zur Praxis bitte an:
[1]
Ehrenamt, Engagement und Alltagskommunismus haben hierbei die Gemeinsamkeit,
unentgeltlich geleistet zu werden.
[2] Bei kapitalistischen Märkten hat sich hieraus die
Kapitalakkumulation selbst zur vorherrschenden Triebfeder entwickelt. D.h. es
geht dann nicht mehr um „Verkauf für den Lebensunterhalt“ wie beim Handwerker
oder Kleinbauern, sondern um Verkauf als einen der notwendigen Schritte, um aus
Kapital mehr Kapital werden zu lassen.
[3]
Amazon steht laut der Unternehmensliste von der Wirtschaftsprüfungs- und
Beratungsgesellschaft EY, die übrigens von Apple, Google und Microsoft
angeführt wird, auf Platz sechs der teuersten Unternehmen der Welt nach
Marktkapitalisierung. Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/unternehmen-das-sind-die-top-der-wertvollsten-unternehmen-1.3056487
Die ersten deutschen Konzerne sind SAP, Siemens und
Bayer auf den Plätzen 60, 72 und 89. Quelle:
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/ey-studie-das-sind-die-wertvollsten-unternehmen-der-welt-14596047.html
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